Ein Austausch aus der Mitte zweier Fachgesellschaften
Im Rahmen einer kleinen psychoanalytischen Tagung südafrikanischer (SAPA) und deutscher (DPG) Psychoanalytiker:innen geht es um den Umgang mit großen gesellschaftlichen Umbrüchen – das Ende der Apartheid, die Folgen des Kolonialismus, der NS Zeit und der sogenannten „Wende“. Die Idee zur Tagung, die im Herbst 2024 stattfinden wird, entstand aus einer überregionalen Intervisionsgruppe von DPG Mitgliedern und persönlichen Verbindungen zu Südafrika.
In unserem Vortrag berichten wir über den Austausch mit den südafrikanischen Kolleg:innen und laden zu einer Diskussion über den psychoanalytischen Umgang mit gesellschaftlichen und persönlichen Brüchen ein. Die intensive, gemeinsame kasuistische Arbeit in Kapstadt legt einen Fokus auf die (fehlende) Trauerarbeit und den Umgang mit Traumatisierungen in beiden Gesellschaften.
Traumatisierte Gesellschaften
Was passiert mit uns Menschen, wenn wir in Gesellschaften leben, die schwere Traumatisierungen verarbeiten müssen? Wie können wir als Psychoanalytiker:innen arbeiten und denken, wenn wir selbst betroffen und Teil der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen sind? An dieser Stelle begegnen sich die südafrikanischen und deutschen Kolleg:innen und versuchen, die Situation der anderen nachzuvollziehen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Das ist ein gewagtes und zugleich hochspannendes Experiment. Anhand der Arbeit mit kasuistischem Material vertiefen wir den Einblick in die Situation der Menschen in den beiden Ländern.
Gemeinsam trauern
Ob und inwieweit es uns gelingt, gemeinsam die Trauerarbeit weiter voranzutreiben, ist eine offene Frage. Dass beide Völker vieles miteinander teilen, vor allem das Geteilt-Sein – in Ost und West, Schwarz und Weiß, in Opfer und Täter – leuchtet unmittelbar ein. Aktuell wird in Deutschland deutlich, dass das Erstarken des Rassismus und Antisemitismus auch mit einer fehlgeschlagenen Trauerarbeit zusammenhängt. Die südafrikanischen Kolleg:innen berichten uns, wie es ihnen nach dem offiziellen Ende der Apartheid ergangen ist, wie sie den gesellschaftlichen Prozess aus heutiger Sicht einordnen und welche Auswirkungen sie bei ihren Patient:innen beobachten. Das offizielle Ende der Apartheit fällt interessanterweise zeitlich mit der Wende in Deutschland zusammen. Es eine zeitliche Übereinstimmung eines Umbruchs in beiden Ländern.
Psychoanalytische Schlussfolgerungen
Zu welchen psychoanalytischen Schlussfolgerungen wir gemeinsam mit den südafrikanischen Kolleg:innen kommen, wollen wir in diesem Vortrag berichten und mit dem Auditorium diskutieren. Wir sind gespannt, was sich während der Tagung in Kapstadt an Gemeinsamkeit entwickeln wird, und möchten diesen diskursiven Prozess auf der DPG Jahrestagung fortführen.
Colonialism, racism, the Nazi era, apartheid, anti-Semitism and the fall of the Berlin Wall: South African and German psychoanalysts learn from each other
An exchange from the heart of two professional associations
A small psychoanalytic conference of South African (SAPA) and German (DPG) psychoanalysts will focus on coming to terms with major social upheavals – the end of apartheid, the consequences of colonialism, the Nazi era and the so-called ‚Wende‘. The idea for the conference, which will take place in autumn 2024, arose from a supra-regional intervision group of DPG members and personal connections to South Africa.
In our presentation we will report on the exchange with our South African colleagues and invite you to discuss the psychoanalytic approach to social and personal ruptures. The intensive, joint casuistic work in Cape Town focuses on the (lack of) mourning work and dealing with traumatisation in both societies.
Traumatised societies
What happens to us as human beings when we live in societies that have to deal with severe traumatisation? How can we work and think as psychoanalysts when we ourselves are affected and part of the affected social groups? This is where the South African and German colleagues meet and try to understand each other’s situation and work out similarities and differences. This is a daring and exciting experiment. By working with casuistic material, we deepen our insight into the situation of people in both countries.
Mourning together
Whether and to what extent we will be able to continue to mourn together is an open question. The fact that both peoples have much in common, above all that they are divided – into East and West, black and white, victims and perpetrators – is immediately obvious. In Germany, it is becoming clear that the rise of racism and anti-Semitism is also linked to a failure of mourning. The South African colleagues tell us how they felt after the official end of apartheid, how they assess the social process from today’s perspective and what effects they observe in their patients. Interestingly, the official end of apartheid coincided with the fall of communism in Germany. There is a temporal coincidence of upheaval in both countries.
Psychoanalytic Conclusions
In this talk we will report and discuss with the audience the psychoanalytic conclusions we have reached together with our South African colleagues. We are curious to see what common ground will emerge during the conference in Cape Town and would like to continue this discursive process at the DPG annual conference.

Prof. Dr. Gernot Schiefer
Psychoanalytiker (IPV, DPG) und Psychotherapeut in eigener Praxis; Professor für Wirtschaftspsychologie und Wissenschaftlicher Leiter eines Kompetenzzentrums für Qualitative Forschung (Mannheim); Inhaber einer psychoanalytischen Unternehmensberatung mit den Schwerpunkten Führungskräfteentwicklung und Coaching (Saarbrücken)
Kontaktadresse: . www.GSchiefer.de
Dipl.-Psych. Julia Gerlach
Psychoanalytikerin, Lehranalytikerin und Supervisorin (IPA, DPG) in eigener Praxis. Tätigkeit im Vorstand und als Dozentin am IPPF Freiburg.