Die Menschen in unseren Behandlungszimmern, deren geschlechtliche Selbstbeschreibung
nicht mit ihrem biologischen Geschlecht korrespondiert, konfrontieren uns als Psychoanalytiker*innen mit wichtigen Fragen:
Dürfen und können wir angesichts dieser Selbstbeschreibung und den damit verbundenen
Wünschen an unserer Behandlungstechnik, bestehend aus freier Assoziation und gleichschwebender Aufmerksamkeit, Analyse der Übertragungsdynamik und Deutung der Träume, festhalten? Impliziert ein Festhalten an diesen Prinzipien eine „genderkritische“ Haltung als einzige Möglichkeit, einen Zusammenbruch der psychoanalytischen Methode abzuwenden?
Oder sollten wir vielmehr diesen Menschen, die stigmatisierten Minderheiten angehören, mit einer „affirmativen“ Haltung begegnen und die geschlechtliche Selbstbeschreibung nicht in Frage stellen? Wäre das bereits ein zu großer Umbruch der psychoanalytischen Technik, der einem Zusammenbruch gleichkommt?
In meinem Vortrag will ich entlang der Beschreibung zweier mehrjähriger psychoanalytischer
Behandlungen eines trans Mannes und eines cis Mannes diesen Fragen nachgehen. Die Auswahl dieser beiden Behandlungen zur Illustration meiner Erkenntnisse habe ich so getroffen, da zu zeigen sein wird, inwiefern die sorgfältige Analyse der Geschlechtlichkeit sowohl bei geschlechtlich inkongruent wie auch bei geschlechtlich kongruent erlebenden Analysand*innen für einen lebendigen psychoanalytischen Prozess von äußerster Wichtigkeit sein kann.
Zu den zentralen Erkenntnissen aus diesen Behandlungen zählt die Tatsache, dass beide
Männer ihre Männlichkeit zur Abwehr einer verstrickten Beziehung zur Mutter und Weiblichkeit generell einsetzen. In der analytischen Arbeit kann nachvollzogen werden, wie die damit verbundenen phantasierten Angriffe auf ein inneres mütterliches Objekt zu Gefühlen innerer Leere und Leblosigkeit führen.
Im Laufe der therapeutischen Arbeit wurden das Konzept der konstitutionellen Bisexualität
und seiner Verbindung zum Konzept des vereinigten inneren Elternpaares zu zentralen theoretischen Bezugspunkten für beide Behandlungen. Aus dieser Perspektive erschien das Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Traummaterial auch geprägt von einer intensiven ödipalen Angst angesichts der Anerkennung des vereinigten inneren Elternpaares und ihrer engen Verbindung zur bisexuellen geschlechtlichen Identifikation zum Ausdruck kommt. Diese für mich neue Sichtweise hatte zunächst eine Veränderung in der Gegenübertragungseinstellung zur Folge, die ich am ehesten als Transformation von einem phallisch-eindringenden zu einem genital-befruchtenden Analytiker-Vater beschreiben würde. Zentral war dabei für mich zunehmend das Aufrechterhalten meiner eigenen väterlichen-in-Verbindung-zu-einer-mütterlichen Behandlungstechnik.
Diese veränderte Gegenübertragungseinstellung wirkte sich auf die innere Entwicklung der
Analysanden im Sinne eines fortschreitenden Bisexualisierungsprozesses aus, der aufgrund
einer Entängstigung eine fortschreitende Integration vorher abgewehrter weiblich-mütterlicher eigener Anteile nach sich zog. Dabei vollzogen beide keine manifeste Veränderung ihrer geschlechtlichen Selbstbeschreibung, konnten allerdings zunehmend eine differenziertere und komplexere Männlichkeit leben.
Von diesen Erkenntnissen ausgehend, meine ich, dass die Begegnung mit trans zu einem
Aufbruch der psychoanalytischen Theorie und Praxis führen kann, der paradoxerweise in der
Rückbesinnung auf zentrale Theorien zur Geschlechtlichkeit wie die der konstitutionellen
Bisexualität und des vereinigten inneren Elternpaares besteht und für viele psychoanalytische Behandlungen einen inneren Bisexualisierungsprozess als wichtiges Element ansieht. Dieser tiefgreifende Prozess, so meine These, kann sich nur in einer psychoanalytischen Arbeit ereignen, die an der klassischen Behandlungstechnik festhält, die neben der Analyse der
Übertragungs- und Traumdynamik unbedingt auch die Analyse der Gegenübertragung im
Fokus hat.
Gender changes and their consequences for psychoanalysis: Upheaval, collapse or awakening of psychoanalytic theory and practice?
The people in our treatment rooms whose gender does not correspond to their biological sex confront us as psychoanalysts with important questions:
Given this self-description and the associated desires, are we allowed to and can we adhere to our treatment technique, consisting of free association and evenly suspended attention, analysis of transference dynamics and interpretation of dreams? Does adherence to these principles imply a ‘gender-critical’ stance as the only way to avert a collapse of the psychoanalytic method? Or should we rather engage with these people, who belong to stigmatised minorities, with an ‘affirmative’ attitude and not question their gender? Would that already be too great a modification of psychoanalytic technique, tantamount to a collapse?
In my presentation, I will describe two psychoanalytic treatments of a trans man and a cis man that lasted several years. I have chosen these two treatments to illustrate my findings because it will be shown to what extent the careful analysis of gender can be of utmost importance for a lively psychoanalytic process in both gender-incongruent and gender-congruent analysands.
One of the central findings from these treatments is the fact that both men use their masculinity as a defence against an entangled relationship with their mother and femininity in general. In the analytical work, it is possible to understand how the associated fantasied attacks on an internal maternal object lead to feelings of inner emptiness and lifelessness.
In the course of the therapeutic work, the concept of psychic bisexuality and its connection to the concept of the united internal parental couple became central theoretical points of reference for both treatments. From this perspective, the transference, countertransference and dream material also appeared to be characterised by an intense Oedipal anxiety in the face of the recognition of the united internal parental couple and their close connection to psychic bisexuality. This new perspective for me initially resulted in a change in the counter-transference attitude, which I would best describe as a transformation from a phallic, penetrating to a genitally inseminating analyst-father. Increasingly central to this for me was the maintenance of my own paternal-in-connection-to-a-maternal treatment technique.
This changed countertransference attitude influenced the inner development of the analysands in the sense of a progressive bisexualisation process, which, led to a progressive integration of their own previously rejected female-maternal parts. Neither of them underwent a manifest change in their gender but were increasingly able to live a more differentiated and complex masculinity.
On the basis of these findings, I believe that the encounter with trans can lead to a new departure in psychoanalytical theory and practice, which paradoxically return to central theories of gender such as constitutional bisexuality and the unified internal parental couple and sees an internal bisexualisation process as an important element in many psychoanalytic treatments. This profound process, I argue, can only take place in psychoanalytic work that adheres to the classical treatment technique, which, in addition to analysing the transference and dream dynamics, necessarily includes the analysis of the countertransference as an essential focus.

Sebastian Thrul, Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Psychoanalytiker (DPG), psychoanalytischer Psychotherapeut, Dozent, Supervisor und Lehrtherapeut (AZPP Basel). Oberärztliche Leitung der Sprechstunden für Geschlechterfragen und ADHS bei Erwachsenen der Psychiatrie Baselland. Host des Podcasts New Books in Psychoanalysis und der Veranstaltungsreihe Forward der Lissaboner Gruppe Free Association. Beiträge zu Themen der psychoanalytischen Geschlechterforschung, insbesondere zu Männlichkeit und Väterlichkeit, sowie zu politischen und kulturtheoretischen Implikationen psychoanalytischer Behandlungstechnik.