Umbruch, Zusammenbruch und Aufbruch nach dem Mauerfall. Der Wiederaufbau der „Brandmauer“ zur Abwehr unbewusster Ängste.

Alexander Degel

Freitag, 2. Mai

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15.30

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16.15

Uhr |

Salon 2

Der Überfall der Ukraine durch Russland, der brutale Angriff der Hamas auf Israel und die daraufhin entbrannten Konflikte rücken immer auch latent schwelende Ängste vor kriegerischer Aggression, Gewalt und Zerstörung an die Oberfläche und reaktivieren nationale, traumatische Erfahrungen, wie die des Nationalsozialismus, der Nachkriegszeit und der deutschen Teilung und Wiedervereinigung. 

Diese beeinflussen auch die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Fragen, ein Begriff sticht im deutschen Diskurs besonders hervor: der der „Brandmauer“. 

In meinem Beitrag möchte ich zeigen, dass der Terminus der Brandmauer, neben seiner symbolischen Verwendung in den politischen Positionierungen auch als kollektiv geteiltes Phantasma verstanden werden muss, das sich u.a. der Abwehrmechanismen der Spaltung und Projektion bedient.

Anhand von Beispielen soll gezeigt werden, wie dieses Phantasma in einem kollusiven Verhältnis sowohl diejenigen vor unbewussten Ängsten schützt, die die Brandmauer niederreißen wollen, als auch diejenigen, die sie verteidigen. In der Spaltung vereint „benötigen“ beide Seiten die Brandmauer als Schutz vor ihren eigenen unbewussten  Wünschen nach und Ängsten vor Extremismus, Autoritarismus und Nationalismus.

Als Alternative zur Brandmauer wird das Wagnis und Risiko der Trauerarbeit über die deutsch-deutsche Geschichte vorgeschlagen. Denn darin liegt das Potential, den Kreislauf der Wiederkehr des Verdrängten und der Wiedererrichtung der Mauer bzw. der melancholischen Identifikation mit ihr, zu durchbrechen.


Upheaval, collapse and new beginnings after the fall of the Wall. The reconstruction of the ‘firewall’ to ward off unconscious fears.

The invasion of Ukraine by Russia, the brutal attack by Hamas on Israel and the ensuing conflicts always bring latent fears of warlike aggression, violence and destruction to the surface and reactivate traumatic national experiences such as those of National Socialism, the post-war period and the division and reunification of Germany. 

These also influence the debate on current political issues, with one term in particular standing out in German discourse: the ‘firewall’. 

In my contribution, I would like to show that the term ‘firewall’, in addition to its symbolic use in political positioning, must also be understood as a collectively shared phantasm that makes use of the defence mechanisms of division and projection, among other things.

Examples will be used to show how this phantasm, in a collusive relationship, protects both those who want to tear down the firewall and those who defend it from unconscious fears. United in division, both sides ‘need’ the firewall as protection from their own unconscious desires for and fears of extremism, authoritarianism and nationalism.

As an alternative to the firewall, the daring and risk of mourning German-German history is proposed. For therein lies the potential to break the cycle of the return of the repressed and the re-erection of the Wall or the melancholic identification with it.

Alexander Degel ist Psychoanalytiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Mikrosoziologie der HSU in Hamburg. 

Aktuelle Publikationen:
– Digitalität und Ambiguität.  Organisationskulturen der Sozialen Arbeit unter Druck. Weinheim:  BeltzJuventa 2024 (Hrsg. zusammen mit Katharina Liebsch)
– Zur gesellschaftlichen Abwehr von Vernichtungsängsten. Ein psychosozialer Blick auf die Soziale Arbeit. In: Forum der Psychoanalyse, 2024


Alexander Degel is a psychoanalyst and research associate at the Department of Microsociology at the HSU in Hamburg. 

Current publications:
– Digitality and Ambiguity.  Organisational cultures of social work under pressure. Weinheim: BeltzJuventa 2024 (ed. together with Katharina Liebsch)
– On the social defence against fears of annihilation. A psychosocial view of social work. In: Forum of Psychoanalysis, 2024