Spätestens seit den Gräueltaten von Hamas-Terroristen an Israelis im Oktober letzten Jahres sind wir auf weltpolitischer Ebene wieder einmal mit der furchtbaren Dynamik von Rache-Impulsen konfrontiert. Rache, Vergeltung, Ressentiment – es sind tief in unserer menschlichen Matrix wurzelnde Impulse bzw. Empfindungen, die jeder kennt und die stets im Kontakt – und sei es im phantasierten Kontakt – mit einem Gegenüber ausgelöst werden. Der Akt der Rache, die Vergeltung, will eine Form des Verarbeitens einer Schuld, deren Opfer man – vermeintlich oder tatsächlich – geworden war, sein, und führt stattdessen zu einer Eskalationsspirale von Schuld, in der man selbst zum Täter wird. Genugtuung erweist sich stets als Illusion. Es ist eben nie genug, und so wird es stets zu viel, und je weiter eine Rache-Spirale sich dreht, desto schlimmer wird die Allianz aus Denkhemmung und Affektsteigerung. Mischt sich die Logik der Rache mit der des Krieges, wird es fatal.
Doch gerade deshalb sollten wir versuchen, das Ganze mit unseren psychoanalytischen Mitteln verstehbar zu machen. Im Rache-Impuls scheint zunächst ein Ineinander von narzisstischer Selbstbehauptung, moralischer Empörung und archaischer Wut am Werk zu sein – ein explosives Gemisch also von Ich-, Über-Ich- und Es-Impulsen. Am Ursprung jeglichen Racheimpulses liegt das Empfinden, irgendwie verraten worden zu sein. Und in der Vergeltung will man den Verrätern zeigen, wie sich das anfühlt. Paradoxerweise steckt also in jeder Rachephantasie ein Wunsch nach Kommunikation – nur übertönt der sich im Vergeltungsakt selbst. Und im Ressentiment erstickt er sich.
Solchen Überlegungen sucht der Vortrag nachzugehen – von den etymologisch-mythologischen Ursprüngen über Entwicklungshintergründe bis hin zu pathologischen Verläufen von Rache- und Vergeltungsimpulsen und deren Verfestigung im Ressentiment.
Angela Mauss-Hanke: Vor und während des Psychologiestudiums Konzertagentin für internationale Jazzensembles. Heute: Diplom-Psychologin, Psychoanalytikerin für Erwachsene, Kinder und Gruppen, niedergelassen in eigener Praxis in Wolfratshausen und München.
Lehr- und Kontrollanalytikerin für Erwachsene (DPV/IPA/DGPT) und Gruppen (D3G). Dozentin bei der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München (DGPT), dort seit 2021 auch Leiterin des „Referats Internationale Akademie“, sowie bei der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf e.V. (DPV).
Mitglied im Herausgeberbeirat der Psyche sowie des International Journal of Psychoanalysis; bis 2021 Mitglied im Website Editorial Board der IPA und verantwortliche Redakteurin des IPA Blogs. Zahlreiche psychoanalytische Veröffentlichungen sowie Vorträge im In- und Ausland (u.a. Belgrad, Boston, Istanbul, London, Prag, Seattle, Teheran). Psychoanalytische Untersuchungen vor allem zu gesellschaftsrelevanten Themen wie „Die Tötung Geisteskranker in Deutschland und der Nürnberger Ärzteprozeß 1947/47“, zur psychischen Präsenz von Atomkraft, zu Übersetzungsprozessen und Rachephänomenen. — Klinische Arbeiten u.a.: Buchessay zu Eugenio Gaddini (2002) sowie „Psychoanalytische Überlegungen zur antiödipalen Verfasstheit, dargestellt anhand Heinrich von Kleists Penthesilea und eines klinischen Behandlungsfalles“ (2013), diese Arbeit erschien auch in englischer und griechischer Übersetzung sowie auf Farsi. 2008-2016 Herausgeberin der jährlich erscheinenden Buchreihe „Internationale Psychoanalyse – Ausgewählte Beiträge aus dem International Journal of Psychoanalysis“, 2023 Mitherausgeberin des DPG-Tagungsbandes „Virtuelle Berührung – zersplitternde Realität“.