„Weh denen, die Böses gut und Gutes böse heißen …“ Psychoanalytische Überlegungen zur Entwicklung der Anfälligkeit für Verschwörungsnarrative und für „pervertiertes Containing“.

Karin Johanna Zienert-Eilts

Sonntag, 12. Mai

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11.30

-

12.45

Uhr |

Saal B + C

Abstract

Am Beispiel des Verschwörungsnarrativs „The Big Lie“ untersuche ich die Wirkkraft und die Dynamik von Verschwörungserzählungen, die auf dem Nährboden regressiver Prozesse – mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger gezielt – Realitätsverzerrungen und Lügen als ein Mittel zur Agitation einsetzen. Anhand von aus sozialen Medien, klinischem Material, Interviews und Dokumentationen gewonnenen Daten über Menschen, die Verschwörungsnarrative teilen, stelle ich die Bereitschaft vieler Menschen, an Verschwörungserzählungen ohne jeden Zweifel zu glauben, in den Mittelpunkt meiner Überlegungen. Denn ohne diese Bereitschaft wären Verschwörungsnarrative wirkungslos. Als ein Versuch, die Entwicklung dieser Bereitschaft im Individuum erklärbar zu machen, verbinde ich die Ausführungen Wilfred Bions, Susan Isaacs und Herbert Rosenfelds. Darauf aufbauend entwickle ich die These, dass misslingende Containingprozesse in frühen Beziehungserfahrungen entscheidend sind für die Anfälligkeit für Verschwörungsnarrative: In Krisenzeiten – seien sie individueller oder gesellschaftspolitischer Art oder aber eine Kombination von beiden – setzen Regressionsprozesse ein, die frühe Verwirrungszustände, Verlust- und Vernichtungsangst, Hass und Ohnmachtserleben mobilisieren. Als ein Abwehrschirm bilden sich starre bis hin zu einer Art abgedichteter ‚Überzeugungs-Kapseln‘, durchdrungen von Omnipotenz- und Überlegenheitsphantasmen. Diesen Prozessen liegen vor allem eine als existenzbedrohlich erlebte Panik vor Veränderungen sowie die übermäßige Identifizierung mit einem omnipotenten Objekt zugrunde; damit untrennbar verbunden ist die unbewusste Sehnsucht nach Symbiose mit einem omnipotenten ‘Erlöser‘ – ein Konglomerat, das die Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen, für autokratische, destruktiv-populistische Führer und für den Prozess eines „pervertierten Containings“ hervorbringt. Zusammenfassend wird die gut dokumentierte destruktiv-symbiotische Beziehungsdynamik zwischen Donald Trump und seinen Anhängern, einschließlich der systemimmanenten Eskalation von Gewalt, umrissen – eine Dynamik, aus der es nur schwer ein Entkommen zu geben scheint.

Karin Johanna Zienert-Eilts, Dr. phil. Dipl.-Psych. (DPG/IPV), Psychoanalytikerin und Dozentin am Psychoanalytischen Institut Berlin, arbeitet in eigener Praxis in Berlin. 
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichte der Psychoanalyse, Dynamiken in Gruppen und die Anwendung der Psychoanalyse auf gesellschaftspolitische Prozesse.


Ihre letzten Veröffentlichungen sind “On the biography of Herbert Rosenfeld” und “Destructive narcissism and the susceptibility to ‘perverted containing’ using the example of destructive populism: Further psychoanalytical considerations” in Herbert Rosenfeld – Then and Now. The Significance of His Work for Contemporary Psychoanalysis (Hg. K. J. Zienert-Eilts und Wolfgang Hegener).